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VÖ: 26.05.2023
Genre: Beliebte Alben, Jazz, Zeitgenössischer Jazz
ACT x Qobuz
Beim Kauf einer Vinyl-LP erhalten Sie den digitalen Download des Albums in High Resolution kostenlos bei unserem Partner Qobuz dazu.
„Gnawa Tradition trifft auf den ‚German Blues‘. Meditative, ekstatische Musik zwischen alten Traditionen und der Moderne, die Brötzmann selbst mitgeprägt hat.“-Jazz thing (DE)
Peter Brötzmann / tenor saxophone & clarinet
Majid Bekkas / guembri & voice
Hamid Drake / drums & percussion
Recorded live at Berliner Festspiele / Jazzfest Berlin Haus der Berliner Festspiele, 04.11.2022
Produced by the artists
the art in music: Cover art by Shoshu
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„Gnawa Tradition trifft auf den ‚German Blues‘. Meditative, ekstatische Musik zwischen alten Traditionen und der Moderne, die Brötzmann selbst mitgeprägt hat.“-Jazz thing (DE)
Peter Brötzmann / tenor saxophone & clarinet
Majid Bekkas / guembri & voice
Hamid Drake / drums & percussion
Recorded live at Berliner Festspiele / Jazzfest Berlin Haus der Berliner Festspiele, 04.11.2022
Produced by the artists
the art in music: Cover art by Shoshu
Mehr zum Album:
Zärtliches Tosen der guten Geister: Peter Brötzmann, Majid Bekkas und Hamid Drake: „Catching Ghosts“, eine Sternstunde in Berlin
Rechts hinten auf der Bühne: ein Tisch. Mit Werkzeugen. Darauf: Saxophone und eine Klarinette, eine Flasche Wasser. Darunter verschiedene Taschen und Koffer. Utensilien eines Handwerkers… Der Handwerker, der das alles brauchte an jenem 4. November 2022 auf der sehr geräumigen Bühne im Großen Haus der Berliner Festspiele, war der deutsche Saxophonist und Free-Jazz-Vorreiter Peter Brötzmann. Eine besondere Stunde schlug für ihn an diesem Abend beim Jazzfest Berlin. Für sein bahnbrechendes Lebenswerk als jemand, der „viel getan habe, um die Vorstellung von dem, was Musik ist, zu erweitern“, erhielt er aus den Händen des Jazzpublizisten Bert Noglik den Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik. Und direkt anschließend hörte man: ein denkwürdiges Konzert, das die mögliche Erwartung einer besonders wuchtig tönenden Free-Jazz-Selbstfeier voll und ganz entkräftete. Denn Brötzmann, dieser 1941 geborene, immer noch amtierende wildeste Mann des deutschen Jazz, dessen berühmteste Aufnahme nicht von ungefähr „Machine Gun“ heißt, weil ihr Urheber seit nunmehr sechs Jahrzehnten nicht nachlassende Saxophon-Salven gegen gemütliche Hörgewohnheiten abschießt, tat hier das, was Preisträger im Normalfall nicht tun: Er trat bescheiden in die zweite Reihe. Etwa eine Stunde lang erlebte man diesen Hauptdarsteller auf der Anfang November bedeutendsten deutschen Jazz-Bühne vornehmlich als Sideman. Aber als was für einen!
GOOD VIBES UND TREIBENDER GROOVE
Die Musikstücke des Programms steuerte sein Kollege Majid Bekkas bei: Der 1957 geborene Gimbri-Spieler und Sänger aus Marokko sang traditionelle Gnawa-Lieder zu seiner tieftönenden Kastenhals-Laute, Lieder, die gute Geister anrufen und böse vertreiben und mit ihren ständig wiederkehrenden Bass-Patterns eine trance-artige Energie entfalten können. Majid Bekkas über die einzelnen Stücke: „Der Song ‚Chalaba‘ spricht von marokkanischen Heiligen und ihrem Ziel, die Seelen zu reinigen. ‚Mawama‘ ist dem heiligen Moussa gewidmet, der zwischen Himmel und Meer zu finden ist und deshalb eine blaue Farbe hat. ‚Haradouchia‘ ist ein spirituelles und mystisches Lied aus dem Ort Sidi Ali Ben Hamdouch in einem 5/4-Rhythmus. In dem Stück ‚Balini‘ schließlich danken Gnawa Gott dafür, diese Musik spielen zu können und gute Schwingungen (‚vibes‘) im Leben zu verbreiten.“
WELTMUSIK MIT REIBUNGSENERGIE
Der treibende Groove der Gnawa-Musik fasziniert nicht zuletzt Free-Jazzer schon lange, auch Brötzmann hat schon in den 1990er Jahren die Verschmelzung seiner Töne mit Gnawa-Klängen gesucht – damals bereits im Verbund mit dem Schlagzeu-ger Hamid Drake (Jahrgang 1955) aus den kreativen Musikerkreisen Chicagos. Zusammen mit Brötzmann und Drake ließ nun Majid Bekkas Gnawa-Lieder zu einer Feier der interkontinentalen Zusammenkunft werden. Es entstand aus ihnen Musik, die in diesem Moment alle drei beteiligten Spieler über imaginäre Grenzen ihrer jeweiligen musikalischen Herkunft hinaustrug: Weltmusik im besten Sinne. Und nicht zuletzt eine, die nicht nivelliert war. Dafür sorgte schon die beträchtliche „Reibungsenergie“, die – wie Gregor Dotzauer im Berliner „Tagesspiegel“ feststellte – bei dieser Gemeinschaftsaktion entstand.
DREI VERSCHIEDENE BLAS-INSTRUMENTE
Von Anfang an ist in diesen Aufnahmen eine enorme Konzentration zu spüren: eine Bündelung musikalischer Kräfte. Basstöne, die wie Beschwörungsformeln wirken, Gesang von bezwingend archaischer Expressivität, ein Schlagzeug, das eine breit gefächerte, klang- und kraftvolle Wucht entfaltet – und ein Blas-Instrument, das ganz häufig schweigt, in den Hintergrund tritt, um im rechten Augenblick rau schmirgelnde Energieströme von sich zu geben. Brötzmann wechselte in diesem Konzert zwischen drei verschiedenen Instrumenten hin und her: Tenorsaxophon, Altsaxophon und Metallklarinette. In allen fand er unterschiedliche Ausdrucksnuancen – an der Klarinette waren das neben wirbelnden und fiependen Aufschreien auffällig viele Momente, die für einen Musiker wie Brötzmann etwas ganz Zartes, innig Schönklingendes hatten. Sehr häufig tat die deutsche Free-Jazz-Ikone an diesem Abend das, was sensible Musiker auszeichnet: Er hörte seinen beiden Partnern aufmerksam zu. Immer wieder trat er beiseite und ging an den Tisch mit seinen Handwerks-Utensilien – um das richtige Werkzeug für jeden der vielen besonderen Augenblicke dieses Konzerts auszuwählen. Wer diese aufregenden Aufnahmen hört, wird feststellen: Stets wirkt das von ihm gewählte Instrument so organisch, dass ein Wechsel zunächst gar nicht wirklich auffällt.
BRÖTZMANN – „A WORLD TREASURE“
Der vom Publikum euphorisch bejubelte Abend in Berlin – man achte auch auf die langen, lauten Applaus-Passagen – war nicht das erste Zusammentreffen dieser dreier Musiker. Bereits 1997 trafen sie im französischen Mulhouse aufeinander. Brötzmann und Drake hatten zudem bereits 1995 beim Jazzfest Berlin zusammengespielt, im damaligen Brötzmann-Quartett. Nach dem gemeinsamen Auftritt im November 2022 trat Hamid Drake noch einmal vors Publikum im Großen Haus und sagte: Er habe „Peter Brotzman“ (wie die Amerikaner den Deutschen nennen) bereits 1987 in Chicago kennengelernt – und das Publikum solle sich vor Augen halten: Dieser Musiker sei nicht nur ein nationaler Kulturschatz, sondern: „He’s a world treasure“. Einen großen Augenblick in dessen spätem Schaffen kann man in den Stücken dieses Albums nacherleben. „Catching Ghosts“ – so kann das klingen.
Rechts hinten auf der Bühne: ein Tisch. Mit Werkzeugen. Darauf: Saxophone und eine Klarinette, eine Flasche Wasser. Darunter verschiedene Taschen und Koffer. Utensilien eines Handwerkers… Der Handwerker, der das alles brauchte an jenem 4. November 2022 auf der sehr geräumigen Bühne im Großen Haus der Berliner Festspiele, war der deutsche Saxophonist und Free-Jazz-Vorreiter Peter Brötzmann. Eine besondere Stunde schlug für ihn an diesem Abend beim Jazzfest Berlin. Für sein bahnbrechendes Lebenswerk als jemand, der „viel getan habe, um die Vorstellung von dem, was Musik ist, zu erweitern“, erhielt er aus den Händen des Jazzpublizisten Bert Noglik den Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik. Und direkt anschließend hörte man: ein denkwürdiges Konzert, das die mögliche Erwartung einer besonders wuchtig tönenden Free-Jazz-Selbstfeier voll und ganz entkräftete. Denn Brötzmann, dieser 1941 geborene, immer noch amtierende wildeste Mann des deutschen Jazz, dessen berühmteste Aufnahme nicht von ungefähr „Machine Gun“ heißt, weil ihr Urheber seit nunmehr sechs Jahrzehnten nicht nachlassende Saxophon-Salven gegen gemütliche Hörgewohnheiten abschießt, tat hier das, was Preisträger im Normalfall nicht tun: Er trat bescheiden in die zweite Reihe. Etwa eine Stunde lang erlebte man diesen Hauptdarsteller auf der Anfang November bedeutendsten deutschen Jazz-Bühne vornehmlich als Sideman. Aber als was für einen!
GOOD VIBES UND TREIBENDER GROOVE
Die Musikstücke des Programms steuerte sein Kollege Majid Bekkas bei: Der 1957 geborene Gimbri-Spieler und Sänger aus Marokko sang traditionelle Gnawa-Lieder zu seiner tieftönenden Kastenhals-Laute, Lieder, die gute Geister anrufen und böse vertreiben und mit ihren ständig wiederkehrenden Bass-Patterns eine trance-artige Energie entfalten können. Majid Bekkas über die einzelnen Stücke: „Der Song ‚Chalaba‘ spricht von marokkanischen Heiligen und ihrem Ziel, die Seelen zu reinigen. ‚Mawama‘ ist dem heiligen Moussa gewidmet, der zwischen Himmel und Meer zu finden ist und deshalb eine blaue Farbe hat. ‚Haradouchia‘ ist ein spirituelles und mystisches Lied aus dem Ort Sidi Ali Ben Hamdouch in einem 5/4-Rhythmus. In dem Stück ‚Balini‘ schließlich danken Gnawa Gott dafür, diese Musik spielen zu können und gute Schwingungen (‚vibes‘) im Leben zu verbreiten.“
WELTMUSIK MIT REIBUNGSENERGIE
Der treibende Groove der Gnawa-Musik fasziniert nicht zuletzt Free-Jazzer schon lange, auch Brötzmann hat schon in den 1990er Jahren die Verschmelzung seiner Töne mit Gnawa-Klängen gesucht – damals bereits im Verbund mit dem Schlagzeu-ger Hamid Drake (Jahrgang 1955) aus den kreativen Musikerkreisen Chicagos. Zusammen mit Brötzmann und Drake ließ nun Majid Bekkas Gnawa-Lieder zu einer Feier der interkontinentalen Zusammenkunft werden. Es entstand aus ihnen Musik, die in diesem Moment alle drei beteiligten Spieler über imaginäre Grenzen ihrer jeweiligen musikalischen Herkunft hinaustrug: Weltmusik im besten Sinne. Und nicht zuletzt eine, die nicht nivelliert war. Dafür sorgte schon die beträchtliche „Reibungsenergie“, die – wie Gregor Dotzauer im Berliner „Tagesspiegel“ feststellte – bei dieser Gemeinschaftsaktion entstand.
DREI VERSCHIEDENE BLAS-INSTRUMENTE
Von Anfang an ist in diesen Aufnahmen eine enorme Konzentration zu spüren: eine Bündelung musikalischer Kräfte. Basstöne, die wie Beschwörungsformeln wirken, Gesang von bezwingend archaischer Expressivität, ein Schlagzeug, das eine breit gefächerte, klang- und kraftvolle Wucht entfaltet – und ein Blas-Instrument, das ganz häufig schweigt, in den Hintergrund tritt, um im rechten Augenblick rau schmirgelnde Energieströme von sich zu geben. Brötzmann wechselte in diesem Konzert zwischen drei verschiedenen Instrumenten hin und her: Tenorsaxophon, Altsaxophon und Metallklarinette. In allen fand er unterschiedliche Ausdrucksnuancen – an der Klarinette waren das neben wirbelnden und fiependen Aufschreien auffällig viele Momente, die für einen Musiker wie Brötzmann etwas ganz Zartes, innig Schönklingendes hatten. Sehr häufig tat die deutsche Free-Jazz-Ikone an diesem Abend das, was sensible Musiker auszeichnet: Er hörte seinen beiden Partnern aufmerksam zu. Immer wieder trat er beiseite und ging an den Tisch mit seinen Handwerks-Utensilien – um das richtige Werkzeug für jeden der vielen besonderen Augenblicke dieses Konzerts auszuwählen. Wer diese aufregenden Aufnahmen hört, wird feststellen: Stets wirkt das von ihm gewählte Instrument so organisch, dass ein Wechsel zunächst gar nicht wirklich auffällt.
BRÖTZMANN – „A WORLD TREASURE“
Der vom Publikum euphorisch bejubelte Abend in Berlin – man achte auch auf die langen, lauten Applaus-Passagen – war nicht das erste Zusammentreffen dieser dreier Musiker. Bereits 1997 trafen sie im französischen Mulhouse aufeinander. Brötzmann und Drake hatten zudem bereits 1995 beim Jazzfest Berlin zusammengespielt, im damaligen Brötzmann-Quartett. Nach dem gemeinsamen Auftritt im November 2022 trat Hamid Drake noch einmal vors Publikum im Großen Haus und sagte: Er habe „Peter Brotzman“ (wie die Amerikaner den Deutschen nennen) bereits 1987 in Chicago kennengelernt – und das Publikum solle sich vor Augen halten: Dieser Musiker sei nicht nur ein nationaler Kulturschatz, sondern: „He’s a world treasure“. Einen großen Augenblick in dessen spätem Schaffen kann man in den Stücken dieses Albums nacherleben. „Catching Ghosts“ – so kann das klingen.